Fact-Checking gegen Verschwörungstheorien

Was können Nachrichtenmedien und Nutzer*innen gegen die steigende Desinformation in den Sozialen Medien unternehmen?

Von David Ulrich

Den meisten Nutzer*innen von Sozialen Medien ist seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 möglicherweise aufgefallen, dass Verschwörungstheorien und Falschinformation immer weiter verbreitet werden. Das kann mit harmlosen Streichen, wie z.B. Kettenbriefen, die einem 13 Jahre Unglück versprechen, wenn man sie nicht an zwei weitere Personen weiterleitet, beginnen. Es kann aber auch soweit gehen, dass Desinformations-Kampagnen in den Social Media demokratische Institutionen bedrohen. Kommunikationswissenschaftler Josef Seethaler beobachtet die steigende Verbreitung von Desinformation und ihre Auswirkungen schon seit einigen Jahren. Ein prominentes Beispiel dafür sind etwa die Wahlen im Jahr 2016 in den USA. Dort waren sowohl internationale Player – vor allem Russland – als auch gegnerische nationale Fraktionen am Werk, „durch gezielte Desinformation Wähler zu verunsichern. Das ist ein Phänomen, das wir bei Wahlkämpfen schon lange beobachten“, so Seethaler. Das habe zur Folge, dass ein wichtiger demokratischer Eckpfeiler, nämlich das Recht auf freie Wahlen, einzustürzen drohe.

Ob die Verbreitung von Desinformation in den Social Media seit Beginn der Pandemie wirklich zugenommen hat, sei objektiv schwierig zu beurteilen, da es noch keine quantitativen Studien dazu gebe, so der Kommunikationswissenschaftler. Seiner Beobachtung nach wird jedoch vor allem „von meist rechts angesiedelten Gruppen diese Verunsicherung, die durch die Pandemie und die Maßnahmen in der Bevölkerung entstanden ist, ausgenützt“. Diese politisch aktiven Gruppen hätten dabei das Ziel, die Demokratie zu untergraben. Auch Florian Schmidt, der Verification Officer der APA, ist der Meinung, dass soziale Medien Teil des Problems sind: „Natürlich nimmt die Zirkulation von Desinformation durch Social Media ganz klar zu.“ Eva Wackenreuther, Fact-Checkerin bei der Agence France Presse (AFP), fügt hinzu, dass sich vor allem die Themen geändert hätten. Derzeit hätten die meisten Verschwörungstheorie, denen sie begegnet, einen Covid-19-Bezug. Schmidt stimmt ihr zu: „80 Prozent aller Faktenchecks (der APA, Anm.) sind derzeit über gesundheitliche Themen.“

Verschwörungstheorien einfach erklärt

Soziale Medien sind laut Seethaler ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite bringen sie Menschen dazu, sich für ihre Interessen und Anliegen aktiv zu engagieren. Wenn dies andererseits „für einseitige politische Interessen instrumentalisiert wird, können Soziale Medien von einer demokratischen Perspektive aus negativ gesehen werden“, sagt Seethaler.

Was können Nachrichtenmedien unternehmen?

Was können also Nachrichtenmedien machen, um der Verbreitung von Verschwörungstheorien einen Riegel vorzuschieben? „Don’t make stupid people famous“, so Eva Wackenreuther. Man müsse mehr darauf achten, wem man wieviel Relevanz zukommen lasse. Zum Beispiel sei es ein strukturelles Medienproblem, dass beiden Seiten gleich viel Platz und Wichtigkeit eingeräumt wird. „Dann klingt der wissenschaftliche Konsens gleichbedeutend mit dem Verschwörungstheoretiker“, sagt Wackenreuther. Auch müsse zum Beispiel beim Klimawandel erklärend, nicht belehrend, gearbeitet werden. Das heißt, dass Journalist*innen nicht einfach nur sagen sollen WAS richtig ist, sondern auch hinzufügen WARUM es richtig ist: „Wieso ist das so, dass es jetzt warm oder kalt ist und trotzdem gibt es den Klimawandel?“, nennt Wackenreuther ein Beispiel.

Der Verschwörungsglaube in Österreich: Etwa 30% der Befragten waren der Ansicht, dass Verschwörungstheorien zumindest teilweise auf Wahrheiten beruhen. Quelle: marketagent

In einer repräsentativen österreichischen Befragung zum Verschwörungsglauben im Jahr 2020 fanden die Forscher*innen unter anderem heraus, dass etwa 30 Prozent der Österreicher*innen Verschwörungstheorien zumindest nicht komplett abgeneigt waren (siehe Infografik). Auf der anderen Seite waren knapp über 72 Prozent der Ansicht, dass es schwierig ist, Verschwörungstheoretiker*innen von anderen Sichtweisen zu überzeugen. Weniger als die Hälfte von ihnen (ca. 46 Prozent) war der Meinung, dass Verschwörungstheorien eine Gefahr für die Demokratie darstellen.

Das könnte zukünftig sehr problematische Auswirkungen haben, da Verschwörungstheorien und Desinformation von politischen Akteur*innen genützt werden können, um tragende demokratische Säulen, wie etwa freie Wahlen, umzustürzen. „Ich sehe die Problematik vor allem in der Verunsicherung, die durch die Mengen an Information ausgelöst wird, denen wir ausgesetzt sind.“, so Seethaler. Diese Verunsicherung könne dann auch wieder – für politische Zwecke – instrumentalisiert werden. Schmidt ist der Ansicht, dass die steigende Verunsicherung in der Pandemie auch zu einem Anstieg an Desinformation und Verschwörungstheorien geführt habe. „In dieser Zeit der Verunsicherung suchen Menschen natürlich sowohl Stabilität als auch Antworten. Gerade in so einem Spezialfall wie der Pandemie ist es so, dass die Antworten nicht sofort von der Wissenschaft kommen können.“

Die Hilfsmittel von Fact-Checker*innen

Es gibt einige Hilfsmittel und Tools, ohne die Fact-Checker*innen nicht auskommen. Eines davon ist z.B. die „Bild-Rückwärts-Suche“, mit der man überprüfen kann, ob ein bestimmtes Bild schon mal Online war. Dann merke man vielleicht, dass das Bild nicht aktuell ist, sondern z.B. schon 2015 gepostet wurde, so Schmidt. Auch mit Kartendiensten umgehen zu können ist wichtig: Damit kann man feststellen, ob ein Video wirklich an dem behaupteten Ort aufgenommen wurde. Auch Zeit und Wetter könne man damit checken: „Man kann sogar Schattenlängen überprüfen“, meint Schmidt. Es gebe außerdem eine riesige Menge an Daten und Archiven, die man Online finden kann. Man müsse nur wissen, wo man danach suchen muss.

Zwei Fact-Checker*innen sprechen über ihre Arbeit und wie man Falschinformationen selbst erkennen kann.

Der Arbeitsalltag als Fact-Checker*in bei APA und AFP ist durchaus vergleichbar mit dem von Journalist*innen: Sehr viel Recherchearbeit, dann wird in einer Art Redaktionssitzung darüber gesprochen, was behandelt werden soll und schließlich wird der Fact-Check-Artikel geschrieben und publiziert. Im Fokus des Fact-Checking sind meist die Sozialen Medien, es gibt jedoch einige Ausnahmen, die für Fact-Checker tabu sind: „Meinung können wir gottseidank nicht checken, weil es die Meinungsfreiheit gibt. Wir können auch Satire nicht checken, weil es die Kunstfreiheit gibt“, so Schmidt. Damit bleiben nur „Faktenbehauptungen“, die einen Wahrheitsanspruch stellen, zum überprüfen übrig.

Wie können Fakten selbst gecheckt werden?

Fakten können teils aber auch selbst auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Am Einfachsten sei es, die Behauptung in einer Suchmaschine einzugeben, dann komme man möglicherweise gleich zu bereits durchgeführten Faktenchecks, „besonders bei sehr viralen Behauptungen“, erzählt Schmidt. Ansonsten sollte man bei der Suche besonderes Augenmerk auf offizielle Quellen oder Statements von Behörden legen. Wackenreuther fügt hinzu: Zuerst gelte es herauszufinden, wer die Quelle ist, bzw. ob es überhaupt eine gebe. Dafür könne man z.B. im Impressum nachsehen, wer hinter einer Seite steht. Wenn es auf einer Website kein Impressum gibt „muss es (die Behauptung, Anm.) nicht per se falsch sein, aber ich wäre schon mal vorsichtig.“ Auch formale Kriterien können beim Identifizieren von Falschinformation helfen: Viele Rechtschreibfehler oder, wenn ein ganz anderer Ton als in konventionellen Nachrichtenmedien angeschlagen wird, können ebenfalls Anzeichen für eine Falschmeldung sein.

Social Media Managerin Lisa Stadler spricht über ihre Erfahrungen mit Verschwörungstheorien und Falschmeldungen.